43: Die Mehrsprachigkeitsdidaktik: eine junge Disziplin auf der Suche nach Forschungsansätzen und Forschenden

Crameri, Stefania1, Paganini, Barbara2

  1. Pädagogische Hochschule Graubünden, Professur für Integrierte Mehrsprachigkeitsdidaktik, Chur, Schweiz
  2. Schule Zizers

In den letzten Jahren haben verschiedene Massnahmen auf unterschiedlichen Ebenen zur Förderung und Entwicklung der Fachdidaktiken als eigenständige wissenschaftliche Disziplinen in der Schweiz beigetragen (swissuniversities, 2022). Die Perspektiven für deren Konsolidierung in der schweizerischen Hochschullandschaft richten sich u.a. auf die Netzwerkbildung, die Laufbahnförderung, die Annährung der Institutionen und die Förderung des doppelten Kompetenzprofils in den unterschiedlichen Fachbereichen (Bader et al., 2022). Letzteres meint eine Verschränkung von Wissenschaftsfundierung und Praxisorientierung in einem bestimmten Gebiet und ist an Pädagogischen Hochschulen (PH) eine zunehmend gestellte Anforderung an Dozierenden (Biedermann et al., 2020).

Was die wissenschaftliche Weiterentwicklung dieser relativ jungen Disziplinen anbelangt, sind insbesondere die Förderung der Nachwuchsforschenden sowie die Orientierung an bestimmten Forschungsansätzen von grundlegender Bedeutung (swissuniversities, 2022). PHs als Ausbildungsorte für Lehrpersonen gelten in der Schweiz als institutionelle Heimat der Fachdidaktiken. Da es sich dabei um professionsorientierte Hochschulen mit einem klaren Berufsbezug handelt, sind PHs auf anwendungsorientierte Forschung angewiesen (Prenzel, 2020). Es liegt nahe, dass fachdidaktische Forschung sich vordergründig an einen anwendungsorientierten Ansatz orientieren muss. Anwendungsorientierte Forschung an PHs hat ebenfalls, wie die Hochschullehre, nicht nur Wissenschaftsfundierung, sondern auch Praxisorientierung nötig. Dementsprechend soll das Profil der künftigen PH-Forschenden, wie auch dasjenige von PH-Dozierenden, beide Bereiche abdecken. Es bleibt aber zu klären, welche methodischen Vorgehensweisen bei den einzelnen Fachdidaktiken zielführend sind. Weiter ist auch unklar, wie sich bei Nachwuchsforschenden das doppelte Kompentenzprofil in ihrem jeweiligen Forschungsgebiet fördern lässt.

Der dreisprachige Kanton Graubünden mit seiner vielfältigen Schullandschaft ist schweizweit ein hervorragendes Forschungsfeld für die unterschiedlichen Fremdsprachendidaktiken. Hier findet die Mehrsprachigkeitsdidaktik einen reichhaltigen Nährboden für deren Konsolidierung und wissenschaftlichen Weiterentwicklung (vgl. Cathomas et al., 2022). 2022 ist an der PH Graubünden das innovative Forschungs- und Entwicklungsprojekt QUATTRO gestartet, welches im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht. QUATTRO bezeichnet ein Netzwerk bestehend aus vier Akteur:innen: Primarlehrpersonen, PH-Studierende, PH-Dozierende und PH-Forschende. Das Hauptziel des Projekts besteht in der Entwicklung von Fördermodellen, welche zu einer Stärkung des doppelten Kompetenzprofils aller vier Akteur:innen im Bereich der Mehrsprachigkeitsdidaktik führen, um letztendlich neue PH-Nachwuchskräfte in diesem Gebiet zu gewinnen. Gleichzeitig wird durch das Zusammenführen der Akteur:innen auch eine Annäherung zwischen zwei Bündner Institutionen hergestellt, nämlich zwischen der PH Graubünden und der Bündner Volksschule. Somit trägt das QUATTRO-Projekt den einleitend erläuterten Zielsetzungen von swissuniversities (2022) Rechnung (Krompák & Todisco, 2022).

QUATTRO gliedert sich in zwei Teilprojekte. Eins davon ist im Bereich der mehrsprachigkeitsdidaktischen Forschung untergebracht und in einem bestimmten Sprachfach eingebettet. Mehrsprachigkeit kann nämlich in der Schule in Bezug zu jeder Sprache gefördert werden. Im Bündner Kontext stellen Mehrsprachigkeit und deren Schulpraxis aber nicht nur ein Forschungsgegenstand dar. Um die Verständigung und den Austausch zwischen den Bündner Sprachgemeinschaften zu fördern, sollen verfassungsmässig die zwei kantonalen Minderheitssprachen Romanisch und Italienisch mit den erforderlichen Massnahmen unterstützt werden (Verfassung des Kantons Graubünden, 2021/13.06.2021, Art. 3). Diese Vorgabe betrifft auch den Bildungskontext. Das Teilprojekt (wie auch das Gesamtprojekt) berücksichtigt dieses bildungspolitische Ziel und richtet den Fokus auf das Schulfach Italienisch als Fremdsprache. Den Forschungskontext stellen Deutschbündner Primarschulen dar, an denen Italienisch ab der 3. Primarschulklasse unterrichtet wird. Ziel des Teilprojekts ist, mehrsprachigkeitsdidaktische Unterrichtspraxen und -materialien für das Schulfach Italienisch als Fremdsprache zu entwickeln, wobei gleichzeitig die theoretischen Grundlagen der Mehrsprachigkeitsdidaktik auf empirischer Basis präzisiert werden.

Auf der Suche nach einer passenden methodischen Vorgehensweise ist die Wahl auf partizipative Ansätze gefallen. Diese ermöglichen, PH-Forschende als Wissenschaftexpert:innen und Primarlehrpersonen als Praxisexpert:innen zusammenzubringen und dadurch methodisch eine Brücke zwischen Wissenschaftsfundierung und Praxisorientierung zu schlagen (vgl. doppeltes Kompetenzprofil). Ausgehend von den Erfahrungen im Rahmen eines Vorprojekts (Crameri, 2021) hat man sich in QUATTRO für den Design-Based-Research-Ansatz (DBR; Peters & Roviro, 2017) entschieden (Crameri, 2022). Der Beitrag richtet den Fokus auf diesen neu eingeschlagenen Weg und zeigt, wie DBR der Weiterentwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik dient. Ausserdem wird erklärt, wie durch DBR das doppelte Kompetenzprofil der am Forschungsprozess beteiligten PH-Forschenden, aber auch der Primarlehrpersonen, gefördert werden kann. Dies geschieht, indem PH-Forschende als Wissenschaftexpert:innen von der Expertise der Primarlehrpersonen als Praktiker:innen profitierten und umgekehrt. Empirische Daten werden erst nach Projektabschluss (voraussichtlich in Dezember 2024) zeigen, ob DBR als Fördermodell zur Stärkung des doppelten Kompetenzprofils im Bereich der mehrsprachigkeitsdidaktischen Forschung taugt.

Literaturverzeichnis

Bader, B., Brière, F., Colberg, C., Pietro, J.‑F. de, Leuders, T., Rosebrock, C. & Thonhauser, I. (2022). Wissenschaftliche Kompetenzen in den Fachdidaktiken: Aufbruch in die eigenständige Disziplin. In swissuniversities (Vorsitz), Die Entwicklung der Fachdidaktiken als wissenschaftliche Disziplinen in der Schweiz: Bilanz und Perspektiven: Vorpublikation der 5. Tagung Fachdidaktiken, Locarno. https://www.swissuniversities.ch/themen/fachdidaktiken/tagung-fachdidaktiken

Biedermann, H., Krattenmacher, S., Graf, S. & Cwik, M. (2020). Zur Bedeutung des doppelten Kompetenzprofils in der Lehrerinnen-und Lehrerbildung. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 38(3), 326–342.

Cathomas, R., Todisco, V., Caglia, D., Moskopf-Janner, M. C. & Oberholzer, S. (2022). Integrierte Mehrsprachigkeitsdidaktik: Auf dem Weg zu einer gestaltungsorientierten Defintion. In J. Robin & M. Zimmermann (Hrsg.), Fremdsprachendidaktik in der Schweizer Lehrer*innenbildung: An welchen wissenschaftlichen Positionen orientiert sich die Praxis? (S. 101–121). Peter Lang.

Crameri, S. (2021). GRUPIT: un dialogo tra pratica e teoria. DIDIT. Didattica dell'Italiano. Studi applicati di lingua e letteratura, 1(1), 117–130. https://doi.org/10.33683/didit.21.01.06

Crameri, S. (2022). Ein Netzwerkprojekt zwischen Primarschule und Pädagogischer Hochschule zur fachdidaktischen Weiterentwicklung im Bereich der Didaktik der Mehrsprachigkeit. In swissuniversities (Vorsitz), Die Entwicklung der Fachdidaktiken als wissenschaftliche Disziplinen in der Schweiz: Bilanz und Perspektiven: Vorpublikation der 5. Tagung Fachdidaktiken, Locarno. https://www.swissuniversities.ch/themen/fachdidaktiken/tagung-fachdidaktiken

Verfassung des Kantons Graubünden (2021 & i.d.F.v. 13.06.2021). https://www.gr-lex.gr.ch/app/de/texts_of_law/110.100

Krompák, E. & Todisco, V. (2022). Fachdidaktische Forschung und Entwicklung an Pädagogischen Hochschulen im Spannungsfeld zwischen Praxis und Theorie. In swissuniversities (Vorsitz), Die Entwicklung der Fachdidaktiken als wissenschaftliche Disziplinen in der Schweiz: Bilanz und Perspektiven: Vorpublikation der 5. Tagung Fachdidaktiken, Locarno. https://www.swissuniversities.ch/themen/fachdidaktiken/tagung-fachdidaktiken

Peters, M. & Roviro, B. (2017). Fachdidaktischer Forschungsverbund FaBiT: Erforschung von Wandel im Fachunterricht mit dem Bremer Modell des Design-Based Research. In S. Doff & R. Komoss (Hrsg.), Making Change Happen: Wandel im Fachunterricht analysieren und gestalten (S. 19–32). Springer.

Prenzel, M. (2020). "Nützlich, praktisch, gut": Erwartungen an die Forschung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 38(1), 8–20.

swissuniversities (Hrsg.) (2022). Die Entwicklung der Fachdidaktiken als wissenschaftliche Disziplinen in der Schweiz: Bilanz und Perspektiven: Vorpublikation der 5. Tagung Fachdidaktiken. https://www.swissuniversities.ch/themen/fachdidaktiken/tagung-fachdidaktiken